Autor: Jens K. Carl,
Illustrator: Jens K. Carl.
Morgel und die eitle Albasol
Es ist Winter geworden. Schnee ist gefallen. Die Bäume und Sträucher ringsumher sehen aus, als wären sie mit Puderzucker bestreut. Der Komstkochsteich ist von einer dicken Eisdecke bedeckt, auf der die Menschenkinder tagsüber und die Tiere des Waldes des Nachts Schlittschuhlaufen. Allerorts knistert, knackt und knarrt es vor Kälte. Das Leben scheint stillzustehen und es ist, als sei eine wundersame Ruhe eingekehrt.
Hin und wieder stapfen ein Fuchs, ein Reh, eine Rotte Wildschweine oder auch mal ein Waldhase durch den Schnee und suchen nach Essbarem. Die meisten Tiere haben sich wie jedes Jahr zur Winterruhe in ihre Behausungen zurückgezogen und zehren dort von ihren Futtervorräten.
Auch die beiden Weißtannen, die mit ihrem Zauber den Blick auf die Wurzelhöhle verhindern, sind von oben bis unten mit der weißen Pracht überzogen. Ihre Äste und Zweige stöhnen unter der schweren Last. Jedoch lassen sie sich dies nicht anmerken, denn die beiden sind stolz darauf, hier im Wald die ältesten, größten und schönsten Zaubertannen zu sein.
Die eine Zaubertanne trägt den Namen Albasol, da sie sich mehr der Sonne verbunden fühlt. Die andere mehr dem Mond. Daher nennt man sie Albamon.
Ihre Wurzeln reichen tief in den Waldboden hinein, bis hinunter zu den Kalksteinschichten, die einst die Thüringer Berge formten. Über ihre Wurzeläste sind die beiden Bäume seit Jahrhunderten inniglich miteinander verbunden. Die eine Weißtanne kann ohne die andere nicht sein.
Kapitel 1: Albasols Unheil naht
Wie jede Nacht macht es sich Schröder, der Waldkauz, im dichten Geäst Albasols bequem. Von dort aus hält er Ausschau und wacht über den umliegenden Morgelwald.
Just in diesem Abend überkommt ihn eine sonderbare Müdigkeit und er döst fortwährend ein.
Plötzlich rumpelt es und der ganze Baum erzittert. Alte verdorrte Äste und Zweige brechen und treffen Schröder an dessen rechten Flügel. Nur mit Mühe kann er sich aus dem Geäst befreien und fliegt mit weit ausgebreiteten Schwingen hoch hinauf in den Nachthimmel, um zu schauen, was da Unheimliches geschieht.
Ein riesiges, dröhnendes Ungetüm macht sich am Stamm von Albasol zu schaffen. Für Schröder sieht es so aus, als würde sich ein eiserner Riesenkrake mit seinen Fangarmen um den Baum schlängeln. Dann hört er ein kurzes, ohrenbetäubendes Surren und schon neigt sich die Zaubertanne und gleitet sanft zur Erde. Vier dunkle Gestalten wuseln wie Ameisen um den am Boden liegenden Stamm herum und verschnüren die großen herabhängenden Äste mit einem Drahtgeflecht. Dann rollt der Krake mit dem Baum aus dem Wald.
Schröder ist wie vom Schlag getroffen. Er wischt sich die Augen. Träume ich, fragt er sich. Nur langsam begreift der Waldkauz, was da eben geschah …
… Fortsetzung im Buch: Morgelgeschichten, Band 1 oder im gleichnamigen E-Book oder im Einzel-E-Book.
Weitere Kapitel:
- Albasol auf dem Weihnachtsmarkt
- Albasol packt die Eitelkeit
- Albasols Rettung
Ob Morgel sein Zauberbuch wiederfindet und wo dieses ominöse Drachenblut herkam, erfährst Du in einer der nächsten Geschichten, die sicher irgendwann einmal auch für Dich hier erzählt wird. Bleib voller Neugier!